Donnerstag, 4. Dezember 2008

Kulturschock

Neun Monate Nicaragua – Ein Kulturschock? Nein, eher genau das Gegenteil. Eher die unglaublich bereichernde Erfahrung, dass es einfach überall auf der Welt Menschen gibt, mit denen man dieselben Werte, Ansichten und Träume teilt und bei denen man sich zu Hause fühlt. Ich erlebe hier viel Freundlichkeit, immer offene Türen und Reichtum in Einfachheit, erlebe die verschwenderische Vielfalt von Natur und Variationen von Grün, erhöre ein buntes Durcheinander von Tönen, Geräuschen, Lauten, errieche die ganze Bandbreite von Gerüchen – von duftenden Blumen bis zum gammelnden Fleisch am Markt, erlebe hier aber auch Machismos pur, der mich einfach nur nervt, aber für die meisten Frauen hier wirkliche Unterdrückung und körperliches und seelisches Leid bedeutet, erlebe das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Resignation, weil einfach nichts wirklich weitergeht, erlebe die erschreckenden Anfänge einer sich zu einem totalitären System entwickelnden Herrschaftsform. Und was ich gerade merke ist, dass dieses Land nicht in Worte zu fassen ist. Zumindest nicht in ein paar ausgewählte. Am besten ihr erlebt es für euch selbst.

Apropos Kulturschock: Weihnachtslieder singende Amis beim „Holiday Karaoke“ am Flughafen von Houston – das ist ein richtiger Kulturschock!

Mittwoch, 19. November 2008

Nachtrag zu "Liebe ist..."

Apropos bittere Ironie: Seit den Gemeinderatswahlen am 9. November prügeln so gut wie jeden Tag die Anhänger der beiden Großparteien FSLN und PLC in den Straßen Managuas, weil es offensichtlich einen Wahlbetrug von seiten der Sandinisten gegeben hat. Die fanatischen Anhänger der Ortega-Partei tragen dabei bevorzugt ihre Leiberl mit der Aufschrift: "Die Liebe ist stärker als der Hass".


Im Bild (© Foto: LA PRENSA/D.Nivia) bleibt nur mehr das "m" von "amor" und ein Herz übrig.

Montag, 10. November 2008

Die Liebe ist stärker??


„Die Liebe ist stärker als der Hass.“ An jedem großen Kreisverkehr in Managua kann man dieser Tage diese Botschaft in riesigen Buchstaben lesen. Eigentlich eine schöne Botschaft. Eine versöhnliche Botschaft, die Heilung, Frieden und Miteinander verspricht. Doch was an dieser Botschaft leider faul ist, ist, dass sie von der Regierung Nicaraguas dort installiert wurde. Einer Regierung, die Versöhnung und Einheit versprochen hat, der jedoch etwas Wesentliches fehlt: Kritikfähigkeit. Und so wird so gut wie jeder, der es wagt, sich kritisch, sei es auch noch so konstruktiv, zu äußern, mit Schmähungen, Benachteiligungen und eben Hass bedacht. Diese Regierung rund um Ex-Revolutionsführer und jetzigem Präsidenten Daniel Ortega agiert abgehoben und mit einer gehörigen Portion Verfolgungswahn.

An den Kreisverkehren stehen nun schon seit über zwei Monaten jeden Tag und jede Nacht dutzende Menschen, die fahnenschwingend, liedersingend oder schlafend die Botschaft der Liebe verkünden sollen. Der Großteil dieser Menschen sind keine Anhänger der Partei (FSLN), wie man vielleicht vermuten könnte. Sie sind zumeist religiös motiviert und von ihren Kirchen zu der Aktion überzeugt worden. Überzeugendes Argument für das Ausharren auf hartem Boden, für das in der Regenzeit nur von einem Zeltdach dürftig geschützt Sein und für das tagelange Einatmen von Abgasen, ist auch das Geld, dass von der Regierung dafür gezahlt wird. Rund 100 Cordoba am Tag (ca. 3 Euro) und drei Mahlzeiten sind für die Ärmsten der Gesellschaft Argument genug. Wer seit Monaten arbeitslos ist und nicht weiß, wie er seine Familie versorgen soll, ist froh über diese Aufgabe. Aus politischer Überzeugung stehen die wenigsten von ihnen am Kreisverkehr.

Die Regierung hat sich auch nicht davor gescheut, bei den Allerärmsten, bei den Vergessenen, den Verlorenen ihre „Unterstützer auf Zeit“ zu suchen. In Managua leben in wackeligen Wellblechbehausungen, unter Plastikplanen, in den schlimmsten hygienischen Vorraussetzungen rund 1200 Menschen auf engstem Raum. Das riesige „Zeltlager“ steht nun seit drei Jahren nahe dem ehemaligen Zentrum Managuas, vor der nicaraguanischen Nationalversammlung. Die Menschen, die dort leben, repräsentieren einen stummen Protest, einen schweigenden Kampf. Sie sind ehemalige Bananenarbeiter und Bananenarbeiterinnen aus der Region Chinandega, im Norden Nicaraguas. Ihre jahrelange Arbeit mit dem Pestizid „Nemagon“ hatte verheerende gesundheitliche Folgen. Nemagon greift Hormon bildende Organe (Schildrüse etc.) an. Die einzelnen Krankheitsbilder gehen von Haar- und Fingernagelausfall über Migräne und Verlust der Sehkraft bis hin zu Nieren- und Magenkrebs. Die Frauen sind darüber hinaus von Gebärmutter- und Brustkrebs sowie Fehlgeburten betroffen, während 67 Prozent der Männer als steril gelten. Vor Gericht hatte man schon Erfolg gegen die Großkonzerne. Standard Fruit (Dole), Del Monte und United Fruit (Chiquita) weigern sich jedoch schlichtweg die 490 Millionen US-Dollar Entschädigung zu zahlen.

Die Regierung Nicaraguas hat eine monatliche Rente für die Pestizid-Opfer versprochen. Ein Versprechen, das bis heute nicht gehalten wurde. Stattdessen werden die Menschen für den fadenscheinigen Kampf gegen den Hass benutzt. Diese bittere Ironie ist kaum zu ertragen.

Freitag, 19. September 2008

Ein Jahr nach Felix


APA-Meldung vom 8. September 2007: "Vier Tage nach dem Durchzug des zerstörerischen Hurrikans "Felix" über Nicaragua gab es am Samstag noch immer große Verwirrung über die Opferzahlen. Präsident Daniel Ortega sprach von 52 Toten, betonte aber zugleich, es seien "viel mehr" und riet den Überlebenden, "auf Gott zu vertrauen". Nationale Medien addierten die verschiedenen Angaben von Suchmannschaften und berichteten von etwa 170 Todesopfern. Major Carlos Solano vom Komitee für Spezialeinsätze der Streitkräfte Nicaraguas sprach sogar von bis zu 3.000 Menschen, die möglicherweise ums Leben kamen."

Wen von euch hat diese Meldung eigentlich wirklich interessiert? Ich kann mich erinnern, auf news.at über Hurrikan Felix berichtet zu haben, aber groß hatten wir das sicher nicht auf der Seite. Wen interessieren auch ein paar hundert (oder mehr) Tote in irgendeinem Land in Zentralamerika und noch dazu wenn die Opfer Ureinwohner sind...

Einen anderen Bezug bekommt man da, wenn man plötzlich genau in so einem betroffenen Dorf steht, das vor einem Jahr völlig zerstört wurde. In Krukira an der Miskito-Küste liegen die ausgerissenen Bäume noch da, nur ein Teil der Häuser wurden notdurftig wieder aufgebaut. Früher wurden Gäste mit einer frischen Kokosnuss empfangen, doch von den Palmen sind nur mehr ein paar übrig. Alle Kühe sind tot. Die Orangenbäume hat es weggeweht. Die Ernten vernichtet. Zum Essen bleibt Fisch, Yuka und abundzu ein Huhn oder ein Schwein. Das Dorf wirkt gespenstisch und verlassen, obwohl dort einige dutzend Menschen leben. Verlassen und abgeschnitten von der Außenwelt sind die Bewohner da auch wirklich. Deshalb kam auch die Warnung, die Information über die drohende Hurrikankatastrophe viel zu spät. Viele Fischer hat es auf offenem Meer erwischt.

Der Großteil der Hilfslieferungen hat es gar nicht erst nach Krukira geschafft. Die Güter landeten auf irgendwelchen Märkten Nicaraguas oder wasauchimmer. Koruption macht auch vor Notlagen nicht halt.

Drei Tage in Puerto Cabezas, am anderen Ende Nicaraguas und damit irgendwie am anderen Ende der Welt. Faszinierendes, interessantes Leben. Wieder ganz anders als Bluefields, irgendwie wilder, entrischer, aber auch irgendwie schöner. Der Strand fast wie aus einem Karibikprospekt wird als Müllhalde benutzt. Bizarr.

Donnerstag, 4. September 2008

Lesen

Wer liest, reist durch die ganze Welt, taucht in ferne Länder, fremde Kulturen und neue Horizonte ein. Lesen durchbricht Grenzen, weitet die Enge des Alltags, eröffnet unendliche Möglichkeiten, erweckt Träume und Fantasien. Lesen fördert Entwicklung. Wer liest, verändert sich, wird kritisch, autonom, aktiv und offen. Wer liest, lernt sich auszudrücken, kann die Geschichte seines Lebens erzählen.

Für mich hat Lesen genau diesen Stellenwert. Die Idee war daher, hier in Nicaragua ein Projekt umzusetzen, das Lesen ermöglicht. Angeboten hat sich dafür das Dorfentwicklungsprojekt Malacatoya - Los Angeles. Nachdem ich ein Konzept für die Einrichtung einer Bibliothek geschrieben hatte, hatte ich das unglaubliche Glück über persönlichen Kontakt eine großzügige Starthilfe aus der Steiermark zu erhalten. Im Konzept mit drinnen stand eine Kooperation mit "Libros para Ninos", der genialen Organisation, die ich ja im Juni besucht habe. Und auch das klappt.

Sprich ich hatte alles: Die finanzielle Unterstützung, den Partner, Bücher, Möbel, alles. Nur fehlte das Allerwichtigste: Die Unterstützung der Bevölkerung vor Ort. Genau das ist doch das Problem so vieler Projekte hier: Dass irgendwelche Extranjeros, die glauben, eine gute Idee zu haben, die aus ihrer westlichen Sichtweise heraus zu wissen meinen, was die Menschen hier brauchen, die aus ihren eigenen Erfahrungen heraus (z.B. dem bereichernden Umgang mit Büchern von kleinauf an) wollen, dass die Menschen hier dieselben Erfahrungen machen, irgendwelche Projekte ins Leben rufen, denen der Rückhalt in der Bevölkerung fehlt, weil vielleicht eben gar kein Bedarf dafür da ist.

Doch meine Besuche in der Gemeinde sind gut verlaufen. Ich stieß auf Begeisterung und großes Interesse. Gestern kam es dann zur Reunion mit Lehrern, Eltern, Vertretern des Gemeinderats etc., die von "Libros para Ninos" geleitet wurde. Es fehlen nur mehr Details und schon kann in Malacatoya - Los Angeles viel mehr als bisher gelesen werden! Ich bin überwältigt. "Libros para Ninos" übernimmt den Großteil der Organisation, die Casa de los Tres Mundos unterstützt sie dabei und setzt eigene Aktivitäten. Natürlich entstehen laufende Kosten, für die es einer Finanzierung bedarf, die noch gefunden werden muss. Ich bin aber auch diesbezüglich guter Dinge. Ich hoffe, zum fulminanten Einweihungsfest kommt es noch, bevor ich die Rückreise antrete.

Tja, ansonsten. Wohne jetzt in Managua. Mir gefällt mein Pendlerinnen-Dasein. Im Bus nach Granada bleibt ca. eine Stunde Zeit zum Nachdenken, Träumen, Reflektieren und Schlafen. Und diese Landschaft jeden Tag an mir vorbeiziehen zu sehen, gibt mir jedes Mal das Gefühl genau da zu sein, wo ich gerade sein will.

Mittwoch, 30. Juli 2008

Veränderung


Wenn man meinen Blog so liest, könnte man fast meinen, ich mache hier nur Urlaub ;-) Doch der Grund meiner langen blogerischen Schreibabstinenz waren mehr oder weniger arbeitsintensive Wochen, in denen außer Arbeit eben einfach nicht wahnsinnig viel passiert ist.

Ich bin verliebt - ich bin verliebt in dieses Land mit all seinen schönen, intensiven und bereichernden Seiten und seinen bedrückenden, nervenden und hoffnungslosen Seiten. Ich habe irgendwie lang gebraucht, um anzukommen, um die Realitäten hier wahrzunehmen. Aber der offenere Blick, der bis zu einem gewissen Grad natürlich mit der Verbesserung auf sprachlicher Ebene einhergeht, hat mich vieles entdecken lassen.

In ein paar Wochen sollte ich nun also zurückkommen. Doch hier gibt es eine kleine Veränderung, für alle, die es noch nicht wissen: Ich bleibe bis ca. Anfang Dezember hier. Brauche einfach noch mehr Zeit. Und schon die vier Monate mehr erscheinen mir zu kurz, um noch all das umzusetzen, was ich mir vorgenommen habe. Meine Liste ist lang.

Das Schöne ist, dass wir jetzt ein richtiges Team hier an der Casa sind, weil Josef und Florian - die zwei österreichischen Zivildiener - angekommen sind und ich das Gefühl habe, dass gemeinsam echt was weitergehen wird. Veränderung gibt es bei mir auch in räumlicher Hinsicht, weil ich aus der Casa ausziehen werde und in die Hauptstadt Managua umsiedle. Freue mich sehr auf meine kleine Wohnung mitten im Leben. Denn wie ein österreichischer Kabarettist zu mir meinte: "Granada ist wie Mariazell." Und damit hat er einfach recht. Arbeiten werde ich natürlich aber weiter hier.

Ach ja und Veränderung heißt dieser Eintrag auch, weil dieses Land dringend eine Veränderung bräuchte. Vor allem eine politische. Wenn eine der wenigen Leistungen einer Regierung ist, Margot Honecker den größten Orden des Landes zu verleihen, läuft wirklich einiges schief...